Nach meiner Entscheidung, die Tour abzubrechen, war irgendwie die Luft raus. Einen Plan B hatte ich nicht. Einfach in England wieder in Richtung Süden zu fahren, machte für mich auch keinen Sinn. Auf dem bisherigen Weg habe ich bisher Autobahnen, Schnellstraßen oder Hecken gesehen, das würde auch auf einem anderen Rückweg nicht besser werden. Oder irgendwie in den Süden fahren und nochmal von vorne anfangen, machte für mich auch keinen Sinn. Je nach Wetter auf dem Festland wollte ich wenigstens für einen versöhnlichen Abschluss noch ein paar Tage radeln - bei vernünftigem Wetter , versteht sich.

Die Buchung der Rückfahrt per Zug am Montag ist problemlos: 8 Uhr 52 ab Edinburgh - Ankunft in London 14 Uhr 50. 89 Pfund. Um 16.04 weiter nach Dover. 17.10 da. Alle Züge sind auf die Minute pünktlich. Buchung eines Hostels in der Innenstadt von Dover. In Dover ist nicht nur das Hostel heruntergekommen, sondern die ganze Stadt, erstaunlich bei so viel Kundenfrequenz. Aber die fahren halt alle nur durch. Ein Bier gibt's aus dem Laden, anschließend einen Burger im Dönerladen, einen letzten Absacker im Pub.
Die Fähre am Dienstag morgen ist für 10 Uhr gebucht, aber ich nehme die um 8 und werde versuchen, von Dünkirchen aus in Richtung Holland zu kommen. Den gleichen Weg wie auf dem Hinweg will ich eigentlich nicht radeln. Im Internet finde ich allerdings keine Verbindung.
Kurz vor der Ankunft in Dünkirchen hagelt es auf der Nordsee, dann macht es aber auf. Der Wind kommt heute wunderbar von hinten. Vom Bhf. Dünkirchen geht kein Zug in Richtung Holland oder Belgien. Also radle ich, inzwischen ist es richtig angenehm. Allerdings sind es bis zur Fähre nach Vlissingen ca. 160 km. In Belgien gibt es eine Straßenbahn, welche die Orte an der Küste verbindet. Vielleicht kann ich mit der ein bisschen abkürzen. Proviant fassen kurz vor der belg. Grenze, Vesper dann in Belgien. David aus Essen taucht auf. Es gibt ein lockeres Gespräch, er lädt mich gleich ein, bei ihm in Duisburg zu übernachten, wenn's passt. Ich trinke mein Bier noch und vergesse nebenbei wieder den Riemen an der Sattelstützentasche zu schließen. Das merke ich dann 10 km weiter.
In Nieuwpoort kaufe ich ein Straßenbahnticket, komme aber wegen Überfüllung nicht rein. Also radle ich los und steige 10 km später in die nächste, diese fährt bis Knocke, ca. 27 km vor der Fähre nach Vlissingen, insgesamt etwa 45 km gespart. Eine ziemlich alte Frau, ca. 85, mit Fahrrad und Gepäck, spricht mich an, sie hätte keinen Strom, ob ich sie führen könne. Sie muss die Fähre nach Vlissingen noch erwischen. Nach dem Aussteigen aus der Bahn fällt mir erstmal das Handy runter. Sie fragt bei anderen Passanten nach dem Weg. Bis ich mein Handy wieder betriebsbereit habe, ist sie weg. Mich plagt ein bisschen das schlechte Gewissen und fahre noch ne kleine Runde, in der Hoffnung, sie noch zu sehen. Kurz vor der Fähre kommt ein Campingplatz, ein Restaurant ist vorhanden, also rein. Die Rezeption ist bereits geschlossen. Nach dem Duschen stelle ich fest: Das Restaurant ist auch geschlossen. Nichts zum essen dabei. Dann stelle ich fest. Ich habe meine lange Outdoor - Hose verloren. Das war der offene Riemen an meiner Tasche. Das wird eine hungrige Nacht. Ca. 120 km waren es bis dahin.
11.06. - Nijmegen - Vynen bei Xanten

Die Nacht war eiskalt, alles ist nass und klamm. Um 8 bin ich fertig, die Rezeption öffnet um 9. Der Laden sollte schon offen sein. Ist er aber nicht, die Leute stehen davor, also weiter ohne Proviant. Die Fähre in Brekeren sehe ich wegdampfen. Um 7 min. verpasst, also heißt es fast eine Stunde zu warten. Eine Schülergruppe mit Rädern ist auch da, es wird voll.
Der Zug drüben Richtung Nijmegen geht eine Viertelstunde später. Das Ticket gibt's am Automat. Lt. Plan muss ich 2 mal umsteigen. Geplant sind 3 Stunden Fahrt. Nach dem ersten Umstieg in Roosendaal sitze ich im Zug und warte auf die Abfahrt. Die Fahrt soll nur 18 Minuten gehen bis zum nächsten Umstieg, zwei Haltestellen. Die Schaffnerin kommt, sie will ein Fahrradticket sehen. Dann bekommt sie die Nachricht, dass dieser Zug ausfällt. Keine Angabe von Gründen. Sie hat also Zeit, geht mit mir an den Automaten und hilft mir beim Ticketkauf fürs Fahrrad. Und dann gibt sie mir auch noch einen Kaffee aus. Und dazu kaufe ich mir noch zwei 'pain au chocolat', die erste feste Nahrung seit gestern Mittag. Der nächste Zug eine halbe Stunde später fällt ebenfalls aus, also empfiehlt sie mir eine Alternative auf einem anderen Gleis. Den schaffe ich gerade noch auf den letzten Drücker. Der Anschlusszug an diesen fällt dann auch aus. Es ist wie daheim. Insgesamt komme ich dann mit 1,5 Stunden Verspätung in Nijmegen an. Es ist bereits 15 Uhr.
Ab hier gedenke ich jetzt noch einige Zeit am Rhein zu fahren. Ein mögliches Ziel ist Koblenz. Das wäre ein guter Ausstieg, weil ich bis hierher schon mal gekommen bin. Inzwischen ist es richtig warm. Der erste deutsche Ort ist Kranenburg. In einer Kneipe gibt's Spagetti Bolognese und ein Weißbier. In Kalkar bei Lidl eine Schale Erdbeeren. Zeltplätze gibt's hier keine, also Suche auf Booking.com. In Vynen bei Xanten werde ich fündig, 50 €, Landhaus am See. Ein Drecksloch. Winzig, ohne Fenster. Inkl. Bad max. 10 qm. Die bekommen von mir eine saubere Bewertung. Beim Griechen im Ort folgt jetzt noch ein Bauernsalat. Insgesamt nur 49 km geradelt. Das Nachteil des schönen Wetters aus dem Süden: Ein harter Gegenwind.
12.06. - Vynen - Köln

Nachdem ich meine ungastliche Unterkunft um halb neun verlassen habe, geht's nach Xanten. Hier gibt's eine große Römeranlage in einem archäologischen Park, vieles ist restauriert. Sehr interessant: Die alte Römerstadt wurde nicht überbaut, wie das früher scheinbar oft so üblich war, sondern die Neue wurde an anderer Stelle gebaut, weshalb viele Fundamente und Relikte erhalten geblieben sind. Frühstück gibt's bei Penny, den Kaffee für 1 €.
Weiter geht es meist entlang von Land-u. Bundesstraßen, den Rhein sehe ich das erste Mal nach 50 km in Uerdingen. Dazwischen, wie bei Komoot üblich, auch wieder einsame Gravelpfade, die irgend ein Eck abkürzen. Dann zur Abwechslung wieder Hafenanlagen, Industriegebiete, viel Verkehr. In Dormagen nehme ich ein Bier. Ich habe vorsorglich den städtischen Campingplatz in Köln angeschrieben, ob ich dort auch zelten darf. Jetzt lese ich die Antwort, ich sollte um 18 Uhr da sein. Eigentlich sind es nur 26 km, aber es herrscht wieder starker Gegenwind, dazu Umleitungen, schlechte Radwege in Köln und allerlei Behinderungen. Der Platz ist 5 km entfernt vom Zentrum im Süden von Köln, auf der Deutzer Flussseite. Aber sehr schön. Alle sind freundlich, es ist viel Betrieb, schöne Sanitäranlage, incl. Kochgelegenheiten. Ich habe heute aber einen anderen Plan. Wenn ich schon mal da bin, will ich auch in die Stadt. Dazu muss ich über die Brücke direkt beim Campingplatz gehen, zur Linie 16. Der Hammer: Die nächste, die kommen sollte: Fällt aus. Jetzt glaub ich es wirklich. ICH BIN SCHULD. Dann nehme ich halt die 17. Die fährt aber nur bis zum Severinplatz, dem Zentrum der Kölner Südstadt. Auch recht. Das Touri - Gedöns könnte ich heute eh nicht ab. So gibt's Currywurst mit einigen Kölsch. Nach 124 km bei starkem Gegenwind genau das Richtige.
13.06. - Köln - Koblenz: Das Finale

Heute ist es schon heiß beim Zusammenpacken. Die erste Nacht im Zelt, in der ich nicht gefroren habe. Man muss nur warten können. Das Ziel ist also klar. Bis Koblenz sind es ca. 90 km. Um 15 Uhr 04 könnte ich dort in den Zug steigen und meine Tour damit beenden. Allerdings ist heute Freitag, der 13. Da kommt bahntechnisch vermutlich einiges auf mich zu.
Der Wind bläst wieder zuverlässig aus Süden, aber bis auf ein Rheinschleife am Anfang, die abgekürzt wird, bin ich heute fast ausschließlich direkt am Rheinufer unterwegs. Was es auch nicht unbedingt leichter macht, weil der Radweg eine ewige Rüttelstrecke ist. Zumindest ist es jetzt landschaftlich endlich mal schön, links und rechts begleiten jetzt die Hügel des Siebengebirges und sonstige Erhebungen den Fluss. Heute ist richtige Sommerhitze. Und dann bin ich ca. 10 km vor Andernach, ich knalle etwas hart mit dem Vorderrad auf eine Kante und schon wird der Reifen weich. Bis jetzt bin ich gut im Zeitplan für den geplanten Zug, aber damit hat sich das erledigt. Ein zufällig des Wegs kommender E-Biker hilft mir mit seiner Elektropumpe aus, derweil ich meine vergessen habe. Dies hilft mir nochmal bis nach Andernach, wo ich tatsächlich einen offenen Radladen finde, der mir aus der Patsche hilft. Aber jetzt wird die Zeit knapp. Einen Zug eine halbe Stunde später könnte ich aber noch erwischen. Jetzt wird es die Hetzerei, die ich absolut vermeiden wollte.
Ich stehe genau zur Abfahrtszeit vor dem Koblenzer Bahnhof und denke, das war's jetzt. Erst mal runterkommen und ein Weißbier nehmen. Während des Zapfvorganges stelle ich dann fest, dass der
erste Zug um 15 Uhr 04 sowieso ausgefallen wäre und dass der um 15 Uhr 31 eine halbe Stunde Verspätung hat. Aus dem Weizen wird ein Sturzbier, kurz danach stehe ich auf einem rappelvollen
Bahnsteig, der Zug kommt und ich drücke mein Fahrrad unter leichter Gewaltanwendung in den Zug, der Schaffner protestiert zwar, aber ich bin drin. Jetzt muss ich von Bahnhof zu Bahnhof checken,
wie es weitergeht, aber es funktioniert anschließend alles. Um 23 Uhr 12 laufe ich in Biberach ein.
Geradelt bin ich heute auch nochmal genau 100 km. In einer mondlosen und lauen Nacht taste ich mich anschließend nach Reute, nachdem ich an der Tanke noch mein Frühstück eingekauft habe.
Ein Fazit dieser Reise
So kurz nach der Reise ist es wirklich schwer, ein abschließendes Fazit zu ziehen. Ich muss aber zugeben, dass ich nicht richtig bereit war für England. Körperlich war ich nicht in der Form, in der ich eigentlich sein wollte. Mental habe ich mich immer vom möglichen Wetter beeinflussen lassen. Eine Schlechtwetter - Orgie wie bei meiner Fahrt ans Nordkap wollte ich mir auf keinen Fall geben. Wenn dann die eigenen Freunde noch rumflachsen, dass man demnächst nicht nach England oder Schottland fahren sollte, weil ich ja da bin, ist das zwar als Spaß gemeint, hinterlässt aber Spuren.
Subjektiv betrachtet fällt mir im Nachhinein kein Grund ein, warum man überhaupt nach England fahren sollte.
Ein Wochenende in London, ok, aber sonst? Die Städte sind ein Graus, von der Landschaft habe ich nichts gesehen. Stichwort: Hecken und Autobahnen.
Einkaufen in England: Es ist nicht möglich, im Supermarkt einen einzelnen Joghurt oder eine einzelne Dose Bier zu kaufen, alles nur im Sixpack - oder größer zu haben. Brot bei Aldi oder Lidl? Nur abgepackt und lätschig? Die Preise sind jenseits von gut und böse, Campingplätze sind entweder Geisterplätze bzw. völlig heruntergekommen oder Luxus - Feriendestinationen, auf denen Camper wie ich nicht vorgesehen sind. Wildcampen theoretisch möglich, aber praktisch fast nicht.
Viele kleine Pannen, nix Gravierendes, aber völlig nervig. Entweder dem Alter geschuldet? Oder nur Pech gehabt? Dann mach ich auch immer wieder die gleichen Fehler, obwohl ich eigentlich inzwischen so viel Routine haben sollte. Aber: Dank meiner sprichwörtlichen Gelassenheit habe ich alles bzw. das meiste locker weggesteckt. Aber es gibt mir zu denken. Dann ist mir zum Schluss noch eingefallen, dass ich fast nie gesungen habe. Sonst habe ich das immer gemacht. Auf dem Fahrrad hat man ja Zeit.
Zukünftige Reisen wird es nur geben, wenn ich die drei folgenden Baustellen in den Griff bekomme: 1. Navigation, 2. Schlafsack, 3. Energieversorgung.
Ganz zum Schluss
Ich weiß nicht, wer so alles bei meinen Blogs mitliest. Immer mal wieder bekomme ich ein Feedback von Leuten, die ich überhaupt nicht auf dem Schirm habe. Wenn ich dann mal was höre, sind es immer positive Stimmen. Es freut mich natürlich, wenn ich anderen Menschen mit meinen Berichten eine kleine Freude machen kann. Für manche gehört es scheinbar zur Morgenlektüre.
Eigentlich war es nie meine Absicht, daraus Bücher zu erstellen. Da ist Corona schuld dran. Ich hab's eigentlich nur zum Spaß und für mich aufgeschrieben.
Trotzdem würde ich mich freuen, wenn der eine oder andere sich meine Werke in gedruckter oder digitaler Form für kleines Geld auf meiner Webseite oder auch über andere Kanäle kaufen würde. Am liebsten verweise ich an dieser Stelle aber auf meinen Shop. Was ich allerdings mit dieser Tour mache, weiß ich noch nicht.