Die Nacht war erstaunlicherweise trocken, obwohl es gestern Abend ganz anders ausgesehen hat.
Aber es ist grau und windig, als ich um 9 in Richtung Cuxhaven starte. Der Wind kommt gerade von vorne, es dauert gefühlt eine Ewigkeit, bis ich da bin und einen Kaffee zu mir nehmen kann.
Danach geht es weiter zum nördlichsten Eck, an die Stelle, an der die Elbe in die Nordsee mündet. Ein bisschen kucken, viele Urlauber sind hier. Die Stelle wird durch einen Turm, die Kugelbake, markiert.
Ums Eck rum geht es jetzt in südwestlicher Richtig immer am Deich entlang nach Bremerhaven. Das hat den angenehmen Effekt, dass der Wind jetzt schräg von hinten kommt.
In Bremerhaven geht's mitten durch das Hafengebiet, vorbei an vielen riesigen Autotransportern. Diese sehen aus wie Schuhschachteln, mit einem Schiff, wie wir es kennen, hat das wenig zu tun. Die laden hier Kias, Toyotas usw. ab und nehmen dafür Mercedes und BMW auf. Endlose Schlangen von LKW ziehen sich durch das ganze Gebiet.
Die Stadt ist noch genau so hässlich wie vor 30 Jahren, als ich hier ein paar Wochen gearbeitet habe. Zum Hafen hin sind zwar ein paar spektakuläre Gebäude gebaut worden, am Gesamtbild ändert das aber wenig.
Deshalb : Schnell weg hier und mit der Weserfähre rüber nach Nordenham. Die Stadt ist zwar auch nicht viel schöner, aber es gibt einen netten Campingplatz an der Weser, wo man sich für 1,70 sogar ein Erdinger kaufen kann. Paradiesisch.
Mit 85 km war es heute ziemlich entspannt. Meine Wunden von gestern haben mich nicht weiter tangiert. Und nach der Ankunft kam sogar noch die Sonne raus.
Ein Nachtrag zu gestern Abend. Den Blog habe ich am Campingplatz - Kiosk geschrieben. Irgendwann war der zu, aber neben mir saß noch eine Gruppe von Dauercampern, die auch am Mittag schon hier waren.
Zuerst wandert eine Flasche Krombacher zu mir rüber, dann kommt die Einladung von einer Blonden mit Hund, doch den Tisch zu wechseln. Was ich natürlich tue. Und muss gleich drauf einen Lakritz - Schnaps zwangsweise zu mir nehmen. Worauf sich gleich eine andere neben mich setzt und gleich ihre Krankheits - und sonstigen Geschichten auf mir ablädt. Eine weitere Flasche Krombacher später ist es gotteseidank vorbei und ich kann mich aus dem Staub machen. Dauercamper - eine besondere Spezies.
OK, der Tag beginnt wieder bewölkt, aber trocken. Irgendwo in Richtung Friesische Inseln heißt die Devise. Auf dem Weg dahin liegt der Jadebusen, den man entweder unten rum umfahren kann, was dann ziemlich weit zu werden droht und oben rum gibt es eine Fähre, die nach meiner Recherche aber nur zweimal am Tag fährt. Einmal morgens, einmal abends. Das reicht leider nicht. Also unten rum.
Ich bin jetzt im Reich der Ostfriesen unterwegs, was aber nicht heißt, daß an jeder Ecke ein Otto steht. Stattdessen sind viele Bauern unterwegs.
Kurz vor Varel erreiche ich die Südspitze der Bucht und schwenke jetzt wieder nordwärts in Richtung Wilhelmshaven ab.
Am Deich entlang ist es ziemlich einsam, Schafe ohne Ende, aber ansonsten nur flaches Land links und Deich rechts.
In Wilhelmshaven kommt ein bisschen die Sonne durch, was ich nach einem Flens und einem Matjeswecken zu einem kleinen Schläfchen am Strand nutze.
Als Ziel habe ich mir die äußerste nordwestliche Ecke des Jadebusens auserkoren. Wie sich raus stellt, ein Riesen - Platz, direkt am Strand gelegen. Inzwischen scheint die Sonne richtig, sodass ich kurz ins Auge fassen, noch in die Fluten zu springen. Aber es ist Ebbe, das Wasser in unerreichbarer Ferne.
Bilder sind wegen des trüben Wetters und der flachen Landschaft Mangelware.
Im Gegensatz zu gestern stand der Wind heute ständig gegen mich, sodass die 90 km zu einer ziemlich kraftraubenden Angelegenheit wurden.
Mal was ganz anderes heute Morgen. Die Sonne scheint und der Wind bläst aus der richtigen Richtung.
So richtig festlegen will ich mich heute morgen noch nicht. Eine Option lautet: Entlang des ostfriesischen Wattenmeeres bis an die Emsmündung und nach Juist oder Norderney übersetzen und von dort weiter nach Borkum. Ich lasse es darauf ankommen. Es ist ein entspanntes Radeln entlang der Küste, die Stille immer wieder unterbrochen durch diverse Urlaubshochburgen wie Carolinensiel, Kleinharlingersiel, Bensersiel. In Norddeich schlägt aber die Stunde der Wahrheit. Wohin fahren die Fähren und wann. Die Fähren fahren nur morgens und abends nach Juist und Norderney. Von Juist nach Borkum gibt's eine, die braucht aber lt. Internet über 6 Stunden, was eigentlich nicht sein kann. Das sind maximal10 km.
OK, so wird das nichts. Die Inseln kann ich vergessen. Jetzt kommt wieder Plan B zum Tragen.
Südwärts in Richtung Emden, einen Campingplatz gibt's ca. 10 km vor der Stadt. Irgendwo dazwischen gibt's eine Fähre, die mich morgen nach Holland bringen sollte.
Nach der Abfahrt in Norddeich trübt der Himmel ein, der Wind wird etwas wechselhaft und kurz vor dem Ziel kommt ein kleiner Schauer, der aber schnell wieder vorbei ist.
Und dann schaffe ich es tatsächlich 5 km vor dem Ziel, eine Abzweigung zu verpassen. Das bringt mir nochmal zum Schluß einen Umweg von weiteren 5 km ein, das Ziel fahre ich ungeplant aus südlicher Richtung und gegen den Wind an. Ich könnte mich mal wieder in den Hintern beißen.
So kommen am Ende wieder fast 100 km zusammen.
Ist es schon Herbst? Dem Nebel nach sieht es so aus. Um es kurz zu machen : Bis auf zwei kurze Augenblicke, an denen die Sonne durch drückt, bleibt es den ganzen Tag so.
Die erste Info bei der Planung der Tour nach Groningen /Holland: Komoot sagt 39 km Luftlinie, bei der Planung stehen dann plötzlich 88 km da. Das bedeutet, nördlich des Dollart (Verbreiterung der Ems) gibt es keine Fähre. Ich muss unten rum über Emden. An der Stelle, an der die Ems wieder zu einem normalen Fluss wird, gibt es eine Radlerfähre. Ein Auto passt auch noch drauf.
Ich bin um 11.45 dort. Die Fähre ist grad weg und die nächste geht lt. Plan um 13.30 Uhr. Die Zeit könnte ich jetzt für ein gepflegtes Vesper nutzen, aber dummerweise habe ich nichts mehr und 4 km vorher bin ich an einem Laden vorbei gefahren. Zeit ist ja genug, also radle ich zurück, kaufe ein, zurück zur Fähre, setz mich auf den Damm und genieße mein Mittagessen inkl. einem Bier. Kurz vor 1 läuft die Fähre ein, ich lass mir Zeit, denn lt. Plan fährt sie erst eine halbe Stunde später ab. Alle wartenden Radler gehen drauf, auch ich bin schon auf dem Weg. Und was macht der Skipper? Gibt Gas, dreht ab und weg ist er. Ohne mich.
Mist, aber eine halbe Stunde später ist er wieder da. Schneller wollte ich eh nicht.
Auf der anderen Seite geht es jetzt ewig lang am Deich entlang bis ich nach einem scharfen Rechtsknick und einer kleinen Brücke plötzlich an der Grenze stehe. Ein Rennradler, der hier gerade seinen Wendepunkt erreicht hat, klärt mich über die aktuelle Situation in Holland auf: Keine Masken, keine Tests, keine Nachweise - aber die Situation würde schlimmer. Super.
Egal, die Weiterfahrt zieht sich durch viel flaches Land, auffällig sind die Radstreifen in den Ortschaften. Trotzdem schaffe ich es in einem Ort, die Spur zu verlieren und brauche fast ein dreiviertel Stunde, bis ich einen schmalen Pfad, den ich schon dreimal passiert habe, als Fortsetzung des Radwegs erkenne.
Ein paar Orte später muss ich gerade über eine Kreuzung, aber es gibt eine kleine Gabelung, wodurch nicht direkt klar ist, was jetzt gerade ist. Ich stehe hinter einem blonden Engel mit zwei Kindern, die drei fahren los und ich bleib stehen, weil ich erst nochmal die Route auf dem Handy checken will. Und plötzlich steht dieser blonde Engel neben mir und fragt mich, ob ich klar komme und wohin ich wolle. Ist die einfach noch mal umgedreht um mir weiter zu helfen. So ist er, der Holländer, bzw. Sie, die Holländerin.
Ab jetzt geht es bolzgerade nach Groningen. Die Radwege werden breiter, in der Stadt beherrschen wirklich die Radler die Szene. Unglaublich. Wir sind Lichtjahre davon entfernt.
Mein Ziel ist der Stadtpark und der Campingplatz, der sich darin befindet. Leider bin ich schon wieder etwas spät dran, um die Szenerie in der Stadt zu genießen.
Der Platz ist schön, alles da inklusive Open Air Fitness und Kneipe. Für 11,30. Das habe ich in D auf wesentlich schlechteren Plätzen bezahlt. Und auch hier: Alle total freundlich. Die gefallen mir, die HolländerInnen.
Auch heute sind es wieder 100 km.
Es ist also doch schon Herbst. Es sieht genauso neblig aus wie gestern. Wenn morgen die Blätter von den Bäumen fallen, glaube ich es wirklich. Aber die Temperatur ist OK.
Eigentlich wollte ich auf dem geraden Weg nach Amsterdam, aber mein Zeltnachbar meint, die schönere Route wäre ans Ijsselmeer und dann mit der Fähre rüber. Das passt. Lt. Komoot sind es nach Stavoren 102 km. Je nach Fahrplan komme ich dann entweder heute Abend noch rüber oder morgen früh.
Ich fahre los, der Wind steht gut und merke nach 5 km, dass meine Powerbank (Akku) noch an der Steckdose im Waschraum hängt. Meine tägliche Slapstick - Einlage. Ich reg mich schon gar nicht mehr auf. 10 km zum Warmmachen.
Der zweite Anlauf funktioniert. Ich bin wieder fasziniert von den tollen Radwegen (Fietsepads) in - und außerhalb der Orte. Oft geht es über viele km bolzgerade durch die Gegend. Manchmal an einer Hauptstraße, aber oft auch in völlig abgelegen Gegenden. Zwischen 12 und halb 3 nieselt es ein bisschen vor sich hin, ohne wirklich nass zu machen.
In Heerenveen kaufe ich ein bisschen Proviant, drehe eine Runde durch die Stadt und weiter geht's in Richtung Ijsselmeer. Der Gegenwind hat inzwischen deutlich zugelegt, es wird ungemütlicher.
Als ich meinen Zielort Stavoren erreiche, muss ich mich entscheiden. Ich habe beide Optionen. Die Fähre geht um halb 7, ich habe noch eine Stunde Zeit. Drüben wäre ich dann kurz vor 8 und müsste dann noch einen Schlafplatz suchen. Und ausserdem ist es kalt. Zu kalt zum Schifflefahren.
Also bleibe ich hier, finde einen Platz direkt an der Marina und sitze nun bei einem Heiniken im Ort, um der Kälte auf dem Platz zu entgehen. Ich will mich nicht beklagen. Der Regen im Süden ist schlimmer.
Das Schiff von Stavoren nach Enkhuizen geht um 10.25. Ich habe also genügend Zeit. Wie die Tage vorher ist es dunkelgrau, nur etwas kälter und windiger. Aber auf dem Schiff ist es warm. 21 € kostet die Überfahrt für die 25 km lange Strecke über das Ijsselmeer.
Kurz vor 12 bin ich drüben und starte noch warm eingepackt. Aber ziemlich schnell bin ich warm und kann wieder auf Normal umstellen. Die Strecke führt anfangs direkt am Damm, danach aber entlang einer Bundesstraße südwärts Richtung Amsterdam. Unterwegs passiere ich die Stadt Hoorn, die in der Innenstadt ein paar Häuser mit spektakulär schrägen Fassaden hat. Die scheinen auf die Straße herein zu fallen.
Nach knapp 60 km bin ich in Amsterdam auf dem Campingplatz Zeeburg, der auf einer Insel mitten in einem breiten Kanal liegt.
Zur Innenstadt sind es 6 km, die ich anschließend zu Fuß zurück lege. Das Rad hat heute und morgen Pause.
Schon beeindruckend, wie die Radler die Stadt beherrschen. Als Fußgänger heißt es permanent 'Obacht'. Vor allem, weil auf einigen Strecken auch Snorfitzer (Roller) unterwegs sind.
Morgen heißt es:Beine hochlegen. Weiß nur noch nicht, wie das gehen soll, wenn das Rad Pause hat.
Dass an einem Ruhetag in Amsterdam nicht geruht wird, war schon am Anfang klar. Geruht hat nur das Rad. Ich bin alles zu Fuß abgelatschst.
Das Wetter war perfekt dafür. Wolkig, nicht zu warm und kein so starker Wind wie an der Wasserkante. Auf jeden Fall war ich am Ende wieder ziemlich geplättet.
Aber jetzt ist das auch rum, der Drahtesel schreit und das Wetter bessert sich auch. Ein paar Grädchen hat es schon mehr als gestern, obwohl der Himmel immer noch gleich aussieht. Der Weg aus der Stadt ist einfach. Es geht immer in südlicher oder südwestlicher Richtung, der Wind schiebt in konstanter Stärke von hinten bzw. Schräg von hinten. So macht Radeln Spaß.
Die Strecke wird wieder bestimmt durch viele Kanäle, größere Städte sind heute Fehlanzeige. Die einzig nennenswerte ist Woerden.
Danach komme ich durch eine Gegend, die von Kanälen und Kanälchen nur so zersiebt zu sein scheint. Fast jedes Haus, Gehöft, Gebäude scheint auf einer eigenen Insel zu stehen.
Irgendwann stellt sich mir der Fluss Lek in den Weg, den ich per Fähre passieren muss.
Ein paar Km weiter bei Dordrecht ist es der Waal, einer von mehreren Mündungsflüssen des Rheins, den ich auf einer Brücke überquere. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Holländer uns den Rhein gestohlen haben, keiner der vielen Flüsse, die das Rheindelta um Rotterdam bilden, heißt noch Rhein.
Wobei, uns gehört der Rhein ja auch nicht. Wer hat ihn erfunden? Richtig, die Schweizer. Sollen die sich doch um den gestohlenen Rhein kümmern. Aber vielleicht finde ich ihn ja noch.
Einen weiteren Rheinarm unterquere ich noch in einem Autobahntunnel mit eigenem Radstreifen. Danach ist Schluss für heute. Nach 102 km fahre ich direkt hinterm Deich (Polder) in den Poldercamping ein.
Mit Bildern ist es echt schwierig. Die flache Landschaft in den diversen Grautönen gibt nichts her. Da müssen dann eben irgendwelche Häuser herhalten.
Fast schon vergessen, wie das aussieht: Sonne beim Aufstehen. Mein Plan sieht heute Brüssel vor, bzw. Grimbergen, das ca. 10 km vor Brüssel liegt und einen Campingplatz hat.
Mein Track sagt, ich müsse zurück zum Tunnel, durch den ich gestern unter dem Rhein, der hier Kil heißt, gefahren bin. Und der Chef vom Campingplatz meint, ich sollte die Fähre nehmen. Ich hätte auf ihn hören sollen. Das hätte mir fast 10 km erspart. Egal, die anschließende Brücke ist auch kein Problem, von dort habe ich wenigstens noch einen Blick auf Rotterdam.
Danach wird es wieder ziemlich einsam, irgendwann lande ich in einem großen Waldgebiet, in dem es nur noch einen 50 cm schmalen Teerstreifen gibt und daneben eine Sandpiste. Der letzte km ist dann nur noch Sand.
Als ich dann durch die erste Ortschaft danach fahre, stelle ich fest, daß ich schon in Belgien bin.
Ab hier bin ich an einer bolzgeraden Durchgangsstrasse, die auf die nächsten 22 km so gut wie keine Kurve mehr macht. Erst kurz vor Antwerpen, an einer großen Kreuzung, wird es wieder undurchsichtiger. Und prompt lasse ich mich vom plötzlich auftauchenden starken Radverkehr mitreißen und bin sofort wieder auf der falschen Spur. Bis ich das wieder korrigiert habe, dauert es eine Weile in diesem Gewusel aus Autobahnen, Schnellstraßen, Gleisen und Radwegen aus allen Richtungen.
Nachdem sich dann alles wieder entwirrt hat, bin ich für den Rest der Strecke fast durchgängig an einer Bahnlinie unterwegs, was aber gelegentlich auch so seine Tücken hat. In Mechelen brauche ich eine Pause und ein Bier in der Innenstadt. Von weitem habe ich schon den Turm der Kathedrale im Blick.
Aber gar nicht so einfach, einen Schattenplatz in einem der Strassencafes zu finden. Etwas abseits des Hauptplatzes gelingt es dann doch noch.
Die letzten km nach Grimbergen sind danach entspannt. Nach 117 km erreiche ich den Campingplatz, der mitten in der Stadt liegt und bin erstaunlicher Weise mal wieder der einzige Zelter auf der schönen großen Zeltwiese.
Eigentlich könnte ich jetzt mit dem Bus noch nach Brüssel rein fahren, aber bei näherem Nachdenken fühle ich mich zu geplättet dafür. Morgen früh gibt's 2 Stunden Sightseeing, das muss langen. Und dann eine kurze Etappe nach Charleroi.
Nachdem ich gestern die Grenze zu Belgien passiert habe, war ich in Flandern unterwegs. Die sprechen Holländisch und die Dörfer, Städte und Straßen wirken ähnlich aufgeräumt. Alles sauber, geschniegelt und perfekt.
Was für ein Kulturschock nach meinem Aufbruch in Grimbergen.
5 km weiter, in einem Brüsseler Vorort, das erste Werbeplakat in französisch. Kurz danach die ersten Baustellen und mit den Radwegen ist es plötzlich nicht mehr so weit her. Und stellt fest, dass man sich in einer französischen Stadt befindet. Dreck auf der Straße, Schlaglöcher, herunter gekommene Häuser. Alles, was man in Flandern nicht gesehen hat. Und als Kontrast dazu die vielen Gladpaläste, die überall in den Himmel wachsen. Eine krasse Kombination.
Ich schlage mich in Richtung Innenstadt durch und bin überrascht durch einige lange Anstiege, die ich in einer Stadt nicht erwartet hätte. Im Zentrum kreisle ich ein bisschen durch die Gassen, viele Touristen sind schon unterwegs und eigentlich braucht man nur den Massen zu folgen, um an die Attraktionen zu kommen. Grand place mit Rathaus und Dom, kurz dahinter das relativ unscheinbare Männeken Pis.
Eigentlich sollte ich jetzt noch eine Portion Pommes holen, schließlich ist das ja eine belgische Erfindung. Ich lasse es und trinke erstmal einen Kaffee.
Um halb 12 mache ich mich auf den Weg, kämpfe mit Komoot und diversen Baustellen, verliere direkt am Audi - Werk (ja, das gibt es hier) mal wieder die Spur, sehe auf einem Sportplatz ein Fußballspiel mit lauter dunklen, glatzköpfigen Männern und bin endlich draußen.
Jetzt bekomme ich einen Vorgeschmack auf die nächsten Tage. In vielen Wellen geht es langsam nach oben, was für mich inzwischen völlig ungewohnt ist.
Dazu ist es richtig heiß. 13 km vor Charleroi komme ich an einen der Campingplätze, die in der Vorauswahl gelandet sind. Es braucht mal wieder eine Entscheidung. In Charleroi gibt es nur Wohnmobilstellplätze, der nächste Campingplatz kommt dann nach 37 km. Das brauche ich heute nicht. So kommts also, dass ich bereits um halb 5 nach 65 km Feierabend mache.
Auf dem Platz gibt's nichts, aber immerhin finde ich im Dorf eine Bar mit dem Namen 'La Chope', wo die Halbe nur 3,60 kostet.
Um es kurz zu machen : Es wird kompliziert. Bisher hatte ich auf dem Schirm, ab Charleroi genau südlich über die Ardennen Richtung Frankreich zu fahren, seit gestern Abend tendiere ich aber zu einem südöstlichen Kurs in Richtung Basel, der u. a. über Luxemburg führt. Die letzte Entscheidung wollte ich mir bis Charleroi aufheben.
Der Campingplatz in Lê Luttre liegt direkt an einem Kanal mit Radweg, aber Komoot meint, dass ich einen Bogen fahren müsste, um an den Radweg zu kommen. Also fahre ich einen Bogen und komme direkt an der Hecke zum Campingplatz vorbei, mit einem schönen Durchgang zum Radweg. Verarscht.
Der Kanal geht nach Charleroi in den Fluss La Sambre.
Die Stadt strahlt einen rostigen Charme aus. Ruinen von stillgelegten Stahlwerken, rostige Fabrikhallen, viel Verfall in der Altstadt, wobei es zwei davon gibt, wie ich lerne. Aber im TT europäische Spitze.
Wie ich mich gerade in einem Café platzieren will, grinst mich ein junger Typ mit Bart und Skateboard an. Das übliche : Woher, wohin, Kommunikation in Englisch. Er meint, dass er am Mittwoch zu seiner ersten großen Tour in Richtung Bretagne startet. Und dann: Ob ich nicht mal einen Blick auf sein Rad und seine Ausrüstung werfen könnte. Er wohnt nur 500 Meter von hier. Ok. Er scheint es wirklich so zu meinen. Statt Kaffee trinken latsche ich also mit ihm zu seiner Wohnung. Er holt sein Rad raus, älteres Modell, aber gut in Schuss. Zwei Satteltaschen dran, gefüllt mit allem was man so braucht. Ich gebe ihm meinen Segen, Rad und Ausrüstung OK, er holt sein Zweitrad, wir radeln in die Unterstadt, trinken Kaffee und quatschen. So kommt man natürlich nicht vorwärts. Und ich brauche noch eine Entscheidung.
Aber jetzt treffe ich sie. Richtung Basel über Luxemburg. Er meint, er hätte grad nichts zu tun und würde mich bis zur nächsten Stadt begleiten. Und weil ein Stück weiter auch noch ein Freund von ihm wohnt, fährt er gleich bis dahin mit.
Dann trennen wir uns an einem Kreisel. Es hat sich zeitlich etwas gezogen und heute stehen einige Höhenmeter an.
In Mettet beginnt ein gigantischer Radweg auf einer ehemaligen Bahntrasse. Sanftes Gefälle, weite Kurven, durch Tunnel, über Brücken. Auf einem Teil der Strecke liegen noch Gleise, auf denen sich jetzt Touristen mit Draisinen austoben können. Irgendwann ist die Talsohle erreicht und es geht wieder sanft nach oben.
In Dinant ist Schluß damit. Ab hier türmen sich vor mir auf meinem Komoot - Track drei gigantische Zacken auf. Noch 32 km bis Rochefort.
Schon der Erste bringt mich direkt von der Stadt weg an meine Grenzen. Mindestens 1,5 km schiebe ich den Berg hoch. Irgendwann geht's dann doch wieder, es kommt der zweite Zacken und auch gleich der Dritte. Ich denke, ich habe es überstanden, stehe in einem kleinen Dorf und mein Track geht auf einen Feldweg. Irrtum ausgeschlossen. Aus dem Feldweg wird ein schmaler Pfad in einen Wald rein.
Das reicht. Zurück ins Dorf, eine Straße führt weit um dieses Gebiet rum. Aber verbunden mit neuen Höhenmetern. Als ich endlich unten im Tal wieder mit meinem Track vereint bin, habe ich zweieinhalb Stunden verplempert und bin meinem Ziel gerade mal 14 km näher gekommen.
Unten steht ein Schild zu einem Campingplatz. Ich habe keine Lust mehr.
Nach einer Minute bin ich da, eine Frau sitzt am Eingang auf dem Boden, eine riesen Haufen Schuhe um sich rum und putzt diese.
Camping geschlossen, Katastrophe, Wasser, Verzweiflung.
Ist jetzt auch egal, mache ich halt die restlichen 18 km auch noch. Es ist halb sieben. Jetzt bin ich aber wieder auf der Bahntrasse, leicht ansteigend zwar, aber richtig flowig. 19.45 bin ich in Rochefort, vor mir ein Tunnel unter dem auf einem Hügel liegenden Ort. Der Tunnel führt direkt zum Campingplatz und ist gesperrt. Erst mal checken, wie man den umfahren kann. Hoffentlich ist der Platz auf. Internet sagt ja.
Nach zwei Anläufen habe ich die Lücke gefunden, die Rezeption hat schon zu, aber es gibt ein paar Menschen auf dem Platz. Dieser hat nichts abbekommen, weil er ein bisschen höher liegt. Aber drumrum ist es ziemlich chaotisch. Dreck, rausgerissenes Pflaster, gesprungene Scheiben usw.
Insgesamt ziemlich hart und ziemlich kompliziert. Basel bin ich 102 km und 900 hm näher gekommen, tatsächlich bin ich noch mindestens 15 km rumgeeiert.
Kurz, es bleibt kompliziert. Der Grund heute?
Als ich gestern Abend nach zwei Bierchen in der Stadt zum Campingplatz zurück kam, war meine Powerbank mit Stecker und Kabel weg. Ok, Handy wär schlimmer, aber die Stromversorgung ist im Nach - Kartenzeitalter schon ziemlich wichtig.
Also kreiseln heute alle Gedanken um die Ersatzbeschaffung. Nach dem Frühstück beim Aldi suche ich einen Handyshop in der Stadt. Vergebens. Also breche ich auf mit dem Gefühl, irgendwo in der belgischen Ardennenpampa ohne Strom liegen zu bleiben. Also auf jeden Fall strengstes Fotoverbot.
Wie erwartet, wird auch die Strecke sehr anspruchsvoll. Flach gibt's nicht mehr. Entweder rauf oder runter. Meistens rauf. Und immer wieder die spannende Frage, wie lange macht das Handy noch mit.
Es hält zu meinem Erstaunen bis Bastogne.
Dort finde ich den lang ersehnten Laden. Noch 15 Minuten Mittagspause. Daneben ein Dönerladen. Also Döner bestellt, der Laden macht auf, ich rein, der Döner bleibt solange liegen, Stecker für 19, 90 gekauft, (Verbrecher), Handy lädt jetzt im Dönerladen auf und ich kann endlich weiter. Mit halb vollem Handy. Eine Powerbank gab's im Übrigen nicht.
Es ist heiß, ich brauche noch Wasser. So eine Art Supermarkt steht da. Aber es ist eher ein Ramschladen, der alles hat. Auch eine Powerbank für 9,50. Was für ein Wahnsinn.
Aller Sorgen befreit geht's weiter und plötzlich sind die Autonummern gelb. Luxemburg. Aber die Berge bleiben. Rauf und runter. Einer nach dem Anderen.
Mein Tagesziel heißt Steinfort. Noch 32 km Dort gibt es einen Campingplatz. 18 km davor, bin ich plötzlich bin ich wieder auf Bahntrasse. Es geht noch ewig weit runter, ins Tal der Allert. Die Trasse ist angenehm zu fahren, die großen Berge sind weg.
Endlich in Steinfort, ein Supermarkt, noch ein bisschen Getränke und Obst kaufen. Ein unglaublicher Laden. Luxemburg scheint eine andere Klasse zu sein.
Dann stelle ich fest, dass der Platz nicht am Ort ist, sondern 8 km davon entfernt. Und davon das meiste wieder zurück.
Und so kommts, dass es wieder 8 Uhr ist, als ich nach ca. 110 km und 1600 hm dort einfahre. Eigentlich träume ich jeden Tag davon, spätestens um 5 am Ziel zu sein und dann noch ein bisschen zu relaxen. Aber vielleicht klappt es ja noch.
Weil es heute praktisch keine Bilder gibt, noch ein paar von gestern. Von Quentin aus Charleroi.
Als ich heute morgen auf der Isomatte sitze und frühstücke, während mein Zelt in den ersten Sonnenstrahlen abtrocknet, kommt mein Nachbar und fragt mich, ob ich einen Kaffee will. Weil in Luxemburg ein ziemliches Sprachenchaos herrscht, muss man immer abklären, in welcher Sprache die Konversation weiter gehen soll. Er stellt sich als Engländer raus, der dauerhaft hier wohnt. Nein , nicht im Wohnwagen, sondern auf dem Motorboot. Das steht auf einem Anhänger, also im Trockenen.
Alex, so heißt er, bittet mich zu Tisch, auf dem noch die Whisky - Flasche von gestern Abend steht und viele Kippen. Sein Sohn (7) wohnt gerade bei ihm, weil seine Mutter gerade einen Job hat und weil Ferien sind.
Er erzählt, daß sein Sohn dreisprachig aufwächst. Mutter Russin, er Engländer, Schule Deutsch. So lernt man Leute kennen.
Er fragt mich, wie ich heiße. Ich kann nichts dafür, nebenbei heiße ich auch noch 'Gerd'. Für einen Engländer ziemlich happig. Er meint, er würde niemand kennen, der so heißt, aber er würde sich als Eselsbrücke bei Namen immer irgendwelche Fußballer merken. Ich sage nur: Gerd Müller. Er ist baff.
Der Kaffee ist gut, aber die Zeit läuft schon wieder. Ich muss ranklotzen. Hätte bestimmt noch viel Spaß gemacht, mich mit ihm weiter zu unterhalten.
Nach Luxemburg (also die Stadt) sind es 22 km, bei 400 hm. Die ersten 5 km einrollen, dann geht's zur Sache. Heute lasse ich mich von Komoot navigieren, um nicht ständig irgendwelche Abzweige zu verpassen.
Das hat den Nachteil, dass ich das Handy immer vom Lenker fummeln muss, wenn ich ein Bild machen will. Sehr lästig.
In Luxemburg kreuze ich wieder ein bisschen durch die Innenstadt, trinke ein kleines Bier für 4 € und denke über den gesamten Wahnsinn dieser Welt und besonders über diese Schurkenstaaten, zu denen auch Luxemburg gehört, nach.
Der Wohlstand und Reichtum dieses Zwergstaates rührt alleine daher, dass Firmen aus der ganzen Welt hier ihren Sitz haben (Briefkasten, Büro, vielleicht eine Büroetage), ihre Gewinne, die sie in ihren jeweiligen Ländern erwirtschaften, aber zu wesentlich niedrigeren Prozentsätzen versteuern, als sie es daheim müssten. Steuervermeidung nennt sich das und alle machen mit. Auf Kosten von wem?
Jeder Porsche, jeder Q7, Tesla, 5 er BMW mit gelbem Kennzeichen macht mich wütend. Es sind viele.
Aber leider kann ich nicht immer nur wütend sein, weil auch der weitere Streckenverlauf sehr herausfordernd ist.
Es gibt kein ebenes Stück, in der Regel ist kleinster Gang und Wiegetritt angesagt. Dann eine lange Abfahrt zur Mosel, Weinberge und der Ort Schengen, bekannt durch das gleichnamige Abkommen.
Über die Brücke geht's nach nach Perl und direkt wieder 300 hm steil nach oben. Ich kreuze ein bisschen, wie am Hochlitten, plötzlich ein leiser Ruf von hinten. Ich weiche nach rechts aus, eine junge Mutter mit Kinderanhänger und E-MTB überholt mich locker.
Oben angekommen, bin ich schon wieder in Frankreich, wo es auf den nächsten 20 km auf dieser Wellenbahn weitergeht.
Dann ein Ortsschild in Deutsch, sogar ein alter Schlagbaum steht noch dahinter. Und weiter gehen die Wellen. Ich nehme mir vor, dass, sollte ich jemals wieder von hier oben runterkommen, den allerersten Campingplatz nehme.
Es kommt eine lange Abfahrt, ich denke, es ist die Letzte und unten ist die Saar, aber es ist nicht die Saar. Die ist noch eine Welle weiter. Aber egal, ich komme genau neben einem Schild 'Campingplatz' zum Halten.
So kommt es, daß ich um 5 nach 5, wie gestern erfleht, auf dem Platz in Siersburg einfahre. Ca. 80 km und 1500 hm nach dem Kaffee mit Alex.
Ein toller Platz, richtig schön, keine Wasserschäden.
Aber von Anfang an.
Um 9 sitze ich auf dem Rad und die Sonne scheint schon wieder kräftig vom Himmel. Zur Saar rüber ist es nur eine kleine Welle, 5 km später bin ich schon auf dem Saarradweg, der zunächst noch ein paar km an der Schnellstraße entlanggeht.
Aber dann wird's gemütlich. Keine Steigungen, alles flach. Auch mal schön nach den beiden letzten Tagen.
Vorbei an den Stahlwerken in Völklingen und Saarbrücken erreiche ich um 11 Uhr Saarbrücken. Ich wechsle von der rechten auf die linke Seite, weil es dort mehr Schatten zu geben scheint. Außerdem muss ich neu planen.
Das nächste Ziel ist Straßburg. Der direkte Weg führt direkt von Saarbrücken aus über die nördlichen Vogesen und bringt auf die nächsten 58 km 1000 Höhenmeter. Aber es geht auch leichter. Noch ein bisschen weiter an der Saar bis nach Saargmünd in Lothringen und dann eine leichte Umfahrung der Vogesen nach Westen. Ein kleiner Umweg zwar, dafür mit 500 hm weniger.
Weil ich aber schon mal auf der linken Saarseite bin, bleibe ich da und stelle fest, das ist die falsche Seite. Irgendwo wird es schon wieder rübergehen. Es kommt eine Schotterpiste und entwickelt sich zu einem ziemlichen Umweg. Also die 2 km zurück und die Seite wechseln.
Plötzlich stelle ich fest, dass mein Handy weg ist. Das habe ich am Lenker befestigt zwecks leichterer Navigation.
Der Super - Gau. Also wieder zurück, 300 Meter später liegt es da im Staub. Das Display völlig zerstört. Erst denke ich, das ist nur das Panzerglas und wird schon wieder funktionieren. Aber da funktioniert gar nichts mehr.
Vielleicht gibt's in Saargmünd ja einen Handyladen, der das Display schnell reparieren kann, wenn das überhaupt noch möglich ist. Ich radle also noch die 15 km und bin längst wieder in Frankreich, um feststellen zu müssen, dass es a) in Saargmünd keinen Handyladen gibt und b) dass ich (und wahrscheinlich wir alle) inzwischen völlig hilflos sind ohne diese Sch... Teil. Ich wüsste nicht mal mehr den Namen des Ortes mit dem Campingplatz, den ich vor einer halben Stunde als Ziel eingegeben habe.
Meine Motivation ist dahin. Heute ist der 28. Tag meiner Tour. Ca. 5 - 6 Tage bräuchte ich noch über Straßburg, Basel und den Bodensee. Ich stelle fest: Ich habe keine Lust mehr.
Der Entschluss steht. Ich fahre zurück nach Saarbrücken, steige dort in den Zug und beende die Tour hiermit. Um halb 10 bin ich in Biberach, dort geht gerade ein Regenguss nieder. Der erste Regen seit Schwerin.
Aber es bleibt ein kurzer Guss, sodass ich die letzten Meter dann auch noch trocken heimkomme.
Für ein Fazit (wenn das überhaupt nötig ist) ist es noch zu früh. Eine Erkenntnis ist aber wieder gereift bzw. wurde wieder mal bestätigt:
Der Weg zu einer Verkehrswende, bei der wir alle für eine bessere Umwelt öfter aufs Rad steigen, ist noch weit. Die meisten Politiker, Verkehrsplaner, sonstige dafür Verantwortliche in Deutschland, haben den Schuss noch nicht gehört. Ein Blick über die Grenzen würde machen von diesen Selbstgerechten im Lande mal ein bisschen Demut nahebringen. Aber das ist leider ein Wort, dass im Sprachgebrauch in Deutschland ohnehin nicht vorkommt.
Genau habe ich es noch nicht zusammengerechnet. Es müssten ca. 2900 km gewesen sein bei 26 Tagen auf dem Rad.
Die Bilder von gestern? Siehe oben. Handy!